Der Sommer naht mit schnellem Schritt und auf meinem Blog gab es schon länger keinen Reisebericht mehr. Daher habe ich heute einen besonderen „Leckerbissen“ für alle, die urlaubsreif sind. Meine Tochter ist diesmal an der Reihe und hat einen ganz wunderbaren Urlaubsbericht aus dem hohen Norden mitgebracht:
„Island, das könnte für uns Fluch oder Segen sein“, das hatte meine Mitreisende Sophie im August zu mir gesagt, nachdem wir unsere Island-Flüge in einer „Lass-uns-einfach-mal-spontan-sein“-Aktion gebucht hatten, die durch eine 3-monatige Klausurphase im Studium provoziert wurde.
Sie hatte insofern recht, als dass wir in den folgenden Wochen so viel planen mussten, dass mich das Gefühl beschlich, wir würden das Land nicht bereisen, sondern es einnehmen wollen.
Planen, Planen, Planen
Ich bezweifle tatsächlich, dass es innerhalb von Europa ein anderes Land gibt, in das man Reisen so gut im Voraus planen muss, wie eine Reise nach Island außerhalb der Hauptsaison. Es sei denn, man beabsichtigt entweder den gesamten Aufenthalt in der Metropole Reykjavík (120.000 Einwohner) zu verbringen oder hat viel Geld auf dem Konto und ist wild darauf es auszugeben.
Einen großen Aufwand bescherte uns zunächst die Suche nach dem perfekten Mietwagen. Als zweiter Planungsriese erwies sich anschließend die Suche nach Unterkünften auf der Insel. Es dauerte nicht lange, bis uns klar wurde, dass wir uns allein schon durch die Flüge und den Mietwagen (inkl. Sprit) in Höchstgeschwindigkeit auf die finanzielle Grenze zubewegten, die wir uns eigentlich für die gesamte Reise gesetzt hatten. Da wir ohnehin keine Freunde luxuriöser Hotel-Urlaube sind, waren wir uns einig, dass wir nach Couchsurfern/-innen suchen und die übrigen Nächte im Auto übernachten würden. Aus den „übrigen Nächte“ scheinen jedoch bald „alle Nächte“ zu werden, da es sich mit Couchsurfern auf Island so verhält wie mit Delfinen in der Badewanne: Es gibt einfach nicht sehr viele.
Zwei Wochen später hatten wir auf der gesamten Insel drei Couchsurferinnen gefunden, die jeweils bereit waren, uns für eine Nacht zu beherbergen.
Die Reise beginnt…
…mit dem Golden Circle. Im Vorfeld unserer Reise ist uns diese Tour mehrfach empfohlen worden. Zu unrecht, wie wir rückblickend sagen können. Der Circle eignet sich in unseren Augen für Personen, die nur wenige Tage auf Island verbringen oder keinen Mietwagen zur Verfügung haben und somit auf Bustouren o.ä. angewiesen sind. Landschaftlich ist die fast 300 Kilometer lange Strecke zugegebenermaßen reizvoll, aber unglaublich touristisch (wie überhaupt der Süden Islands, von Reykjavík bis Vík í Mýrdal). Mit so unglaublich vielen Menschen hatten wir – besonders im Herbst, außerhalb der Hauptsaison – nicht gerechnet. Somit waren die ersten zwei Tage trotz fantastischer und wunderschöner Landschaften zugegebenermaßen desillusionierend. Daneben wurde uns eine Tatsache sehr bald bewusst: Regenbögen, Wasserfälle und Schafe gibt es auf Island im Überfluss.
Einsamer wurde die Landschaft ab dem dritten Tag. Wir hatten beschlossen die Ringstraße entlang zu fahren, und so die Insel einmal komplett zu umrunden. Als kleiner Geheimtipp stellte sich der Fjaðrárgljúfur heraus, ein Canyon im Süd-Osten Islands, der sich seinen Weg auf beeindruckende Weise durch seine karge, grüne Umgebung bahnte. Ein weiteres Highlight war noch am selben Tag der Jökulsarlon, ein Gletschersee, der einen umwerfenden Ausblick für uns bereithielt.
Am fünften Tag erstreckte sich vor uns plötzlich eine gänzlich neue Landschaft. Nachdem uns die Ringstraße auf dem Weg nach Mývatn zunächst durch karge, schwarze Vulkanlandschaft führte, eröffnete sich ein erster Blick auf den Berg Námafjall und ein vor ihm liegendes Solfatarenfeld. Aus dem Boden strömende heiße Dämpfe, kochende Schlammlöcher und der Geruch nach Schwefel formten hier eine surreale Landschaft, die in ihren orange-rot dominanten Farben einen bizarren Kontrast zu den grünen Landschaften des Südens und den hellen, weißen Gletscherlandschaften im Osten bildete.
Ausgehend von Mývatn, machten wir uns am sechsten Tag auf nach Húsavík, angeblich einer der chancenreichsten Orte auf Island, um Wale zu beobachten. Nachdem wir uns auf unserer morgendlichen Wanderung zur Höhle Grjótagjá zeitlich enorm verschätzt hatten, fanden wir uns bald auf dem Rücksitz des Mietwagens einer brasilianischen Kleinfamilie wieder, eingepfercht zwischen riesigen Einkaufstüten und der 90-jährigen Großmutter der Familie, die Island wohl durch die Autofenster zu genießen schien.
Nachdem uns die Familie an unserem Auto abgesetzt hatte und im Gegenzug unsere letzte deutsche Keks-Schokolade geschenkt bekam, machten wir uns auf in Richtung Norden.
Walbeobachtungstouren kosten in der Regel zwischen 75 und 90€ p.P. und ob es einem das Geld wert ist, hängt wahrscheinlich davon ab, ob man zuvor schon einmal Wale in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten konnte. 60% unserer Mitreisenden auf dem Boot hätten noch einen weiteren Aspekt berücksichtigen können: Ob man auf offener See seekrank wird. Nach den anfänglichen Kämpfen um die besten Aussichtspunkte an der Reling, lag zwanzig Minuten später mehr als die Hälfte der Reisenden kreidebleich und abgekämpft auf den wenigen Sitzgelegenheiten, die das Boot zu bieten hatte. Während die besten Aussichtspunkte an der Reling nun also wieder verfügbar waren, genossen Sophie und ich unsere Tour, entdeckten fünf, sechs Buckelwale und verwickelten unseren Guide in ein Gespräch über den Walfang, der auf Island noch immer traditionell betrieben wird. Ihm zur Folge sei der Tourismus der Hauptgrund, weswegen diese grausame Tradition fortgesetzt würde. Weil viele der Touristen, die nach Island kommen, das Walfleisch unbedingt probieren wollen. Die wirksamste Form des Protestes sei es demnach, Restaurants, die Walfleisch auf ihren Speisekarten führen, demonstrativ zu verlassen.
Unsere dritte Couchsurferin wartete am Ende des Tages in Ólafsfjörður auf uns. Valerie stammte ursprünglich aus Bulgarien und nachdem sie ein Jahr in den USA gelebt hatte, war sie nun irgendwo im kalten Norden Islands gelandet, in einem 800-Einwohner-Dorf. Durch ihren Job in einem „Hotel“ im Dorf, bekamen wir am nächsten Tag die Gelegenheit in zwei Kajaks, die angesichts der eisigen Temperaturen beängstigend offen und leicht gebaut waren, durch den nahe gelegenen Fjord zu paddeln.
Auf unserem Weg gen Süden, zurück nach Reykjavík, mussten wir eine Entscheidung treffen. Würden wir die Westfjorde auslassen oder nicht? Wir hatten inzwischen sehr viel über diese einsame Landschaft gehört, und wollten sie unbedingt sehen, aber angesichts unseres Rückflugdatums hatten wir im Grunde keine andere Wahl, als dieses Mal auf sie zu verzichten.
Aufgrund dieser Entscheidung hatten wir an unserem letzten Tag auf der Ringstraße noch ausreichend Zeit für die Umrundung der Halbinsel Snæfellsnes. Ein großer Vorteil war, dass sich zu dieser Jahreszeit offenbar nicht sehr viele Touristen in diesen Teil des Landes verirrten. Landschaftlich konnte uns die Insel nach allem, was wir in den letzten Tagen gesehen und erlebt hatte, jedoch nicht mehr vom Hocker reißen.
Nachdem wir am unseren Mietwagen am neunten Tag erfolgreich nach Reykjavík gebracht hatten, begaben wir uns zu Fuß Richtung Innenstadt, ohne eine Idee, wo wir die folgende Nacht schlafen würden. Die Entscheidung fiel spät am Abend auf einen Campingplatz nah der Innenstadt.
Ein letztes Highlight war im wahrsten Sinne des Wortes ein Phänomen, das wir in dieser Intensität in den letzten Nächten vergeblich gesucht hatten: Aurora borealis, die Nordlichter. Wir hatten sie einige Nächte zuvor schon einmal gesehen, eher schwach, dafür hoch über einem Mondregenbogen. Je weiter wir nach Reykjavík kamen, desto geringer wurde die Hoffnung, diese Lichter noch einmal zu sehen. Und hier standen wir nun, irgendwo in der Stadt, auf einer Wiese neben unserem Zelt und konnten diese wundervollen Lichter in ihrer Farbenpracht, majestätisch am Himmel tanzen sehen. Ein würdiger Abschluss für diese grandiose Zeit.
urheberrechtlich geschützt, © Sabine Seyffert